Alkoholabhängigkeit: Unterschied zwischen den Versionen

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# Hat sich infolge Ihres Alkoholkonsums im letzten Jahr etwas ereignet, von dem Sie nicht wollten, das es geschieht?   
# Hat sich infolge Ihres Alkoholkonsums im letzten Jahr etwas ereignet, von dem Sie nicht wollten, das es geschieht?   
(Mitchell AJ et al. ''Accuracy of one or two simple questions to identify alcohol-use disorder in primary care: a meta-analysis.'')
(Mitchell AJ et al. ''Accuracy of one or two simple questions to identify alcohol-use disorder in primary care: a meta-analysis.'')
=== Typen ===
* Elvin Jellinek, 1951
* nicht statisch, empirisch fraglich, Übergänge und Wechsel möglich
{! class="wikitable"
! Typ !! Trinkverhalten !! Beschreibung
|-
| α
| Problem-/Konflikt-/Kummer-/Erleichterungstrinker
| Abbau innerer Spannungen und Konflikte; Menge variabel; Gefahr psychischer Abhängigkeit; oft keine Abhängigkeit, aber schädlicher Gebrauch
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Der Beta-Typ (Gelegenheitstrinker) trinkt bei sozialen Anlässen große Mengen, bleibt aber sozial und psychisch unauffällig. Betatrinker haben einen alkoholnahen Lebensstil. Negative gesundheitliche Folgen entstehen durch häufigen Alkoholkonsum. Sie sind weder körperlich noch psychisch abhängig, aber gefährdet.
Der Gamma-Typ (Rauschtrinker, Alkoholiker) hat längere abstinente Phasen, die sich mit Phasen starker Berauschung abwechseln. Typisch ist der Kontrollverlust: Er kann nicht aufhören zu trinken, auch wenn er bereits das Gefühl hat, genug zu haben. Obschon er sich wegen der Fähigkeit zu längeren Abstinenzphasen sicher fühlt, ist er alkoholkrank.
Der Delta-Typ (Pegeltrinker, Spiegeltrinker, Alkoholiker) ist bestrebt, seinen Alkoholkonsum im Tagesverlauf (auch nachts) möglichst gleichbleibend zu halten; deshalb der Begriff Spiegeltrinker (konstante/r Blutalkoholkonzentration bzw. -spiegel). Dabei kann es sich um vergleichbar geringe Konzentrationen handeln, diese steigen jedoch im Verlauf der fortschreitenden Krankheit und der damit sich erhöhenden Alkoholtoleranz meist an. Der Abhängige bleibt lange sozial unauffällig („funktionierender Alkoholiker“), weil er selten erkennbar betrunken ist. Dennoch besteht starke körperliche Abhängigkeit. Er muss ständig Alkohol trinken, um Entzugssymptome zu vermeiden. Durch das ständige Trinken entstehen körperliche Folgeschäden. Deltatrinker sind nicht abstinenzfähig und alkoholkrank.
Der Epsilon-Typ (Dipsomanie, Quartalstrinker, Alkoholiker) erlebt in unregelmäßigen Intervallen Phasen exzessiven Alkoholkonsums mit Kontrollverlust, die Tage oder Wochen dauern können. Dazwischen kann er monatelang abstinent bleiben. Epsilon-Trinker sind alkoholkrank.
*# Konflikttrinker
*# Rauschtrinker
*# Spiegeltrinker
*# periodischer Trinker


== Therapie ==
== Therapie ==

Version vom 26. April 2016, 14:39 Uhr

Epidemiologie

  • Lebenszeitprävelanz = 13-26%
  • Punktprävalenz = 2,5%
  • m:w = 2,5:1
  • höchster Anteil 17-22 J.
  • in Allgemeinkrankenhäusern (internistisch/chirurgisch) > 10% Alkholabhängigkeit, >5% schädlicher Gebrauch
  • > 50% Rüclfall innerhalb 1-2 Jahre
  • weniger als 1% adäquate Therapie (Entwöhnung)

Neurobiologie

  • Stimulation GABA-Rezeptor → Dämpfung
  • Blockade NMDA-Rezeptor (Glutamat) → Sedierung (kompensatorisch: Anstieg der Rezeptordichte
  • Dopamin → Belohung → "Suchtgedächtnis"
  • Opiatrezeptoren → angenehme Empfindungen
  • bei Entzug:
    • Überaktivität Glutamat/NMDA → vegetative Dysfunktion
    • fehlende Dämpfung durch GABA → Krampfanfälle

Diagnose

  • 1 Flasche Bier (0,5 l) = 20 g Alkohol
  • 1 Flasche Wein (0,75 l) = 60 g Alkohol
  • riskanter Gebrauch: dauerhaft > 24 g Alkohol/Tag (m) bzw. > 12 g Alkohol/Tag (W)
  • schädlicher Gebrauch: körperliche oder psychische Störung bereits eingetreten (nicht soziale Probleme)
  • Abhängigkeit (ICD-10-Kriterien):
    • in den letzten 12 Monaten mind. 3 Kriterien gleichzeitig
      1. starker Wunsch/Zwang, Alkohol zu konsumieren
      2. verminderte Kontrolle über Beginn, Menge und Beendigung
      3. körperliche Entzugssymptome bei Beendigung/Reduktion
      4. Toleranzentwicklung
      5. Vernachlässigung anderer Interessen zugunsten des Alkoholkonsums
      6. anhaltender Konsum trotz Nachweis schädlicher Folgen, dem dem Konsumenten bewusst sind

Screening-Fragen mit höchster Treffsicherheit (AUDIT-C)

  1. Wie oft trinken Sie sechs oder mehr alkoholische Getränke bei einer Gelegenheit?
  2. Haben Sie jemals morgens zuerst Alkohol getrunken, um sich nervlich zu stabilisieren oder den Start in den Tag zu erleichtern?
  3. Hat sich infolge Ihres Alkoholkonsums im letzten Jahr etwas ereignet, von dem Sie nicht wollten, das es geschieht?

(Mitchell AJ et al. Accuracy of one or two simple questions to identify alcohol-use disorder in primary care: a meta-analysis.)

Typen

  • Elvin Jellinek, 1951
  • nicht statisch, empirisch fraglich, Übergänge und Wechsel möglich

{! class="wikitable" ! Typ !! Trinkverhalten !! Beschreibung |- | α | Problem-/Konflikt-/Kummer-/Erleichterungstrinker | Abbau innerer Spannungen und Konflikte; Menge variabel; Gefahr psychischer Abhängigkeit; oft keine Abhängigkeit, aber schädlicher Gebrauch |- Der Beta-Typ (Gelegenheitstrinker) trinkt bei sozialen Anlässen große Mengen, bleibt aber sozial und psychisch unauffällig. Betatrinker haben einen alkoholnahen Lebensstil. Negative gesundheitliche Folgen entstehen durch häufigen Alkoholkonsum. Sie sind weder körperlich noch psychisch abhängig, aber gefährdet. Der Gamma-Typ (Rauschtrinker, Alkoholiker) hat längere abstinente Phasen, die sich mit Phasen starker Berauschung abwechseln. Typisch ist der Kontrollverlust: Er kann nicht aufhören zu trinken, auch wenn er bereits das Gefühl hat, genug zu haben. Obschon er sich wegen der Fähigkeit zu längeren Abstinenzphasen sicher fühlt, ist er alkoholkrank. Der Delta-Typ (Pegeltrinker, Spiegeltrinker, Alkoholiker) ist bestrebt, seinen Alkoholkonsum im Tagesverlauf (auch nachts) möglichst gleichbleibend zu halten; deshalb der Begriff Spiegeltrinker (konstante/r Blutalkoholkonzentration bzw. -spiegel). Dabei kann es sich um vergleichbar geringe Konzentrationen handeln, diese steigen jedoch im Verlauf der fortschreitenden Krankheit und der damit sich erhöhenden Alkoholtoleranz meist an. Der Abhängige bleibt lange sozial unauffällig („funktionierender Alkoholiker“), weil er selten erkennbar betrunken ist. Dennoch besteht starke körperliche Abhängigkeit. Er muss ständig Alkohol trinken, um Entzugssymptome zu vermeiden. Durch das ständige Trinken entstehen körperliche Folgeschäden. Deltatrinker sind nicht abstinenzfähig und alkoholkrank. Der Epsilon-Typ (Dipsomanie, Quartalstrinker, Alkoholiker) erlebt in unregelmäßigen Intervallen Phasen exzessiven Alkoholkonsums mit Kontrollverlust, die Tage oder Wochen dauern können. Dazwischen kann er monatelang abstinent bleiben. Epsilon-Trinker sind alkoholkrank.


    1. Konflikttrinker
    2. Rauschtrinker
    3. Spiegeltrinker
    4. periodischer Trinker

Therapie

  • 5 Stadien:
    1. Motivation
      • Psychoedukation, Verdeutlichung der körperlichen/psychosozialen Folgen
      • Einbeziehung des sozialen Umfelds, Co-Abhängigkeit
    2. Entgiftung:
      • in D meist stationär 1-3 Wochen
      • körperlicher Entzug meist 3-5 Tage
      • Entzugssymptome:
        • Übelkeit, Nervosität, Schlafstörungen, Craving ("Saufdruck"), Gereiztheit, depressive Verstimmung
        • starkes Schwitzen, Zittern (vor allem der Hände), grippeähnliche Symptome
        • Krampfanfälle
        • Prädelir: Halluzinationen, Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Schwitzen/Zittern, Krampfanfälle
        • Delirium tremens: Desorientiertheit, Übererregbarkeit, psychotische Erscheinungen (illusionäre Verkennung, optische/taktile Halluzinationen, vegetative Entgleisung mit Fieber, Bluthochdruck, Tachykardie, Hyperhidrose, Tremor
        • 7% der Delirien lebensgefährlich mit schweren Kreislaufstörungen
        • protrahiertes Entzugssyndrom: Rückfallgefahr, Suizidrisiko
      • medikamentöse Unterstützung
        • in D meist Clomethiazol (Distraneurin)
        • Benzodiazepine: Lorazepam, Diazepam, Clonazepam (Rivotril)
        • Bernburg Schema: Carbamazepin 200 mg + Tiaprid 300 mg, jeweils 4xtgl. d1-5, Ausschleichen d6-d12
          • beide Substanzen nicht abhängig-machend → Vorteil für ambulante Entgiftung
          • Carbamazepin gegen Entzugskrämpfe
          • Tiaprid (Neuroleptikum) gegen vegetative Entzugsbeschwerden
          • keine starke Sedierung → begleitende Therapie möglich
    3. Entwöhnung:
      • moderne Akuttherapie: qualifizierte Entzugsbehandlung
        • 3-6 Wochen
        • Entgiftung + Motivation zur Entwöhnung + Kontakte Sozialpsychiatrie + Selbsthilfegruppen
    4. Langzeitbehandlung
      • frühzeitiger therapeutischer Kontakt
      • Interventionen mt Fokus auf Abgängigkeitserkrankung
      • konkrete Ziele
      • konkrete pathologische Befunde und deren Besserung unter Abstinenz
      • Informationen über weitere Angebote
      • aktive Hilfe bei anliegenden Problemen
      • Motivation, Hilfe anzunehmen
      • Langzeit-Ziel: zufriedene Abstinenz (oft erst nach Monaten bis Jahren)
    5. Abstinenzerhaltung
      • wichtigster Faktor: regelmäßige Teilnahme an Selbsthilfegruppe

medikamentöse Rückfallprophylaxe

  • Disulfiram (Antabus): aversive Wirkung, nur unter fachärztlicher Aufsicht
  • Acamprosat: NMDA-Rezeptor-Blockade (Glutamat-Antagonist) → mindert Suchtdruck
  • Naltrexon: Opiat-Rezeptor-Antagonist → mindert "Belohnungseffekt" durch Alkohol