Persönlichkeitsstörung: Unterschied zwischen den Versionen

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== Grundlagen ==
== Grundlagen ==


* starke Ausprägung von Persönlichkeitsstilen
* starke Ausprägung von Persönlichkeitsstilen → Extrem-Varianten normalen Verhaltens/Erlebens
* diesbezüglich wenig flexibel und anpassungsfähig
* diesbezüglich wenig flexibel und anpassungsfähig
* Störung des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens ⇒ Krise vor allem bei interpersonellen Konflikten und Verlust der sozialen Integration
* Im Kern Störung des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens ⇒ Krise vor allem bei interpersonellen Konflikten und Verlust der sozialen Integration
* Verhaltensweisen als Selbstschutz → für Umwelt oft nicht erkennbar, daher häufig selbstbestätigend
* Verhaltensweisen als Selbstschutz → für Umwelt oft nicht erkennbar, daher häufig selbstbestätigend
* Prävalenz 20%, in Therapien 30-40%, bei ESS 60%
* Stabilität: Remission nach Diagnose-Kriterien
** 25-50% nach 2 J.
** 75% nach 6 J.
** → keine lebenslange "Störung"!


== allgemeine Diagnose-Kriterien bzw. Merkmale für eine PS (F60) ==
== Diagnose ==


=== ICD-10 klinisch-diagnostische Leitlinien ===
* Kriterien nach ICD-10 → [[ICD-10-Persönlichkeitsstörung]]
 
* DSM-IV und ICD-10: kategorial → wenig reliabel/valide, große Überlappungen
* Deutliche Unausgeglichenheit in den Einstellungen und im Verhalten in mehreren Funktionsbereichen wie Affektivität, Antrieb, Impulskontrolle, Wahrnehmen und Denken sowie in den Beziehungen zu anderen
* DSM-5:
* Das auffällige Verhaltensmuster ist andauernd und gleichförmig und nicht auf Episoden psychischer Krankheiten begrenzt
** Alternativmodell → dimensional
* Das auffällige Verhaltensmuster ist tief greifend und in vielen persönlichen und sozialen Situationen eindeutig unpassend
** keine Altersbeschränkung mehr!
* Die Störungen beginnen immer in der Kindheit oder Jugend und manifestieren sich auf Dauer im Erwachsenenalter
** nur noch 6 spezifische PS
* Die Störung führt zu deutlichem subjektiven Leiden, manchmal jedoch erst im späteren Verlauf
** Kriterien:
* Die Störung ist meistens mit deutlichen Einschränkungen der beruflichen und sozialen Leistungsfähigkeit verbunden
**# Funktionsfähigkeit
* Für die Diagnose der meisten Untergruppen müssen mindestens drei der jeweils genannten Eigenschaften oder Verhaltensweisen vorliegen
**#* Selbst: Stabilität der Identität, Integriertes Selbst-Konzept, interne Werte/Ideale/Ziele
* In unterschiedlichen Kulturen müssen unter Umständen besondere Kriterien in Hinsicht auf soziale Normen, Regeln und Verpflichtungen entwickelt werden
**#* interpersonell: Empathie/Mentalisierungsfähigkeit, Intimität/Beziehungsregulation, intergrierte Objektrepräsentanzen
 
**# maladaptive Persönlichkeitsmerkmale → "Profil
=== ICD-10 Forschungskriterien ===
**#* 5 "traits", jeweils 5 "facets"
 
**# zeitlich stabil und situationsübergreifend
* G1. Die charakteristischen und dauerhaften inneren Erfahrungs- und Verhaltensmuster der Betroffenen weichen insgesamt deutlich von kulturell erwarteten und akzeptierten Vorgaben ("Normen") ab. Diese Abweichung äußert sich in mehr als einem der folgenden Bereiche:
** siehe z.B. http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2013/herpertz_fiedler_13.pdf
** Kognition (d.h. Wahrnehmung und Interpretation von Dingen, Menschen und Ereignissen; Einstellungen und Vorstellungen von sich und anderen)
* ICD-11:
** Affektivität (Variationsbreite, Intensität und Angemessenheit der emotionalen Ansprechbarkeit und Reaktion)
** ebenfalls keine spez. PS mehr
** Impulskontrolle und Bedürfnisbefriedigung
** nur noch "Persönlichkeitsstörung", Ausprägung nach "traits" und Schweregrad
** Zwischenmenschliche Beziehungen und die Art des Umganges mit ihnen
* bei Jugendlichen DD '''Adoleszentenkrise''' = Identitätskrise
* G2. Die Abweichung ist so ausgeprägt, dass das daraus resultierende Verhalten in vielen persönlichen und sozialen Situationen unflexibel, unangepasst oder auch auf andere Weise unzweckmäßig ist (nicht begrenzt auf einen speziellen auslösenden Stimulus oder eine bestimmte Situation)
** Selbstrepräsentation gestört
* G3. Persönlicher Leidensdruck, nachteiliger Einfluss auf die soziale Umwelt oder beides, deutlich dem unter G2. beschriebenen Verhalten zuzuschreiben
** Objektrepräsentation intakt
* G4. Nachweis, dass die Abweichung stabil, von langer Dauer ist und im späten Kindesalter oder der Adoleszenz begonnen hat
** DD PS: beides gestört, Identitätsdiffusion
* G5. Die Abweichung kann nicht durch das Vorliegen oder die Folge einer anderen psychischen Störung des Erwachsenenalters erklärt werden. Es können aber episodische oder chronische Zustandsbilder der Kapitel F00 – F59 und F70 – F79 neben dieser Störung existieren oder sie überlagern.
* G6. Eine organische Erkrankung, Verletzung oder deutliche Funktionsstörung des Gehirns müssen als mögliche Ursache für die Abweichung ausgeschlossen werden (falls eine solche Verursachung nachweisbar ist, soll die Kategorie F07.- verwendet werden).


== Cluster-Einteilung ==
== Cluster-Einteilung ==


{| class="wikitable"
{| class="wikitable"
!   !! ICD-10 !! DSM-IV
!   !! ICD-10 !! DSM-IV !! psychodynamisch
|-
|-
|'''Cluster A'''<br />sonderbar, exzentrisch  
|'''Cluster A'''<br />sonderbar, exzentrisch  
| [[Paranoide Persönlichkeitsstörung|paranoid]]<br />[[Schizoide Persönlichkeitsstörung|schizoid]]
| [[Paranoide Persönlichkeitsstörung|paranoid]]<br />[[Schizoide Persönlichkeitsstörung|schizoid]]
| [[Paranoide Persönlichkeitsstörung|paranoid]]<br />[[Schizoide Persönlichkeitsstörung|schizoid]]<br />[[Schizotypische Persönlichkeitsstörung|schizotypisch]]
| [[Paranoide Persönlichkeitsstörung|paranoid]]<br />[[Schizoide Persönlichkeitsstörung|schizoid]]<br />[[Schizotypische Persönlichkeitsstörung|schizotypisch]]
| strukturelle Schwäche,<br /> Übergang zur psychotischen Störung
|-
|-
|'''Cluster B'''<br />dramatisch, emotional
|'''Cluster B'''<br />dramatisch, emotional
| [[Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung|emotional-instabil]]<br />[[Histrionische Persönlichkeitsstörung|histrionisch]]<br />[[Dissoziale Persönlichkeitsstörung|dissozial]]
| [[Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung|emotional-instabil]]<br />[[Histrionische Persönlichkeitsstörung|histrionisch]]<br />[[Dissoziale Persönlichkeitsstörung|dissozial]]
| [[Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung|Borderline-PS]]<br />[[Histrionische Persönlichkeitsstörung|histrionisch]]<br />[[Dissoziale Persönlichkeitsstörung|antisozial]]<br />[[Narzisstische Persönlichkeitsstörung|narzisstisch]]
| [[Emotional-instabile Persönlichkeitsstörung|Borderline-PS]]<br />[[Histrionische Persönlichkeitsstörung|histrionisch]]<br />[[Dissoziale Persönlichkeitsstörung|antisozial]]<br />[[Narzisstische Persönlichkeitsstörung|narzisstisch]]
| strukturell unzureichend gebunden, <br />überschießende Dynamik
|-
|-
|'''Cluster C'''<br />ängstlich, vermeidend
|'''Cluster C'''<br />ängstlich, vermeidend
| [[Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung|selbstunsicher-vermeidend]]<br />[[Dependente Persönlichkeitsstörung|abhängig]]<br />[[Zwanghafte Persönlichkeitsstörung|anankastisch]]<br />[[Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung|passiv-aggressiv]]
| [[Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung|selbstunsicher-vermeidend]]<br />[[Dependente Persönlichkeitsstörung|abhängig]]<br />[[Zwanghafte Persönlichkeitsstörung|anankastisch]]<br />[[Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung|passiv-aggressiv]]
| [[Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung|selbstunsicher]]<br />[[Dependente Persönlichkeitsstörung|dependent]]<br />[[Zwanghafte Persönlichkeitsstörung|zwanghaft]]<br />[[Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung|passiv-aggressiv]]
| [[Selbstunsicher-vermeidende Persönlichkeitsstörung|selbstunsicher]]<br />[[Dependente Persönlichkeitsstörung|dependent]]<br />[[Zwanghafte Persönlichkeitsstörung|zwanghaft]]<br />[[Passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung|passiv-aggressiv]]
| rigide Struktur, <br />unzureichende Entfaltung von Dynamik
|}
|}


* [[Kombinierte Persönlichkeitsstörung]]
* [[Kombinierte Persönlichkeitsstörung]]


== Weblinks ==
== Modell der doppelten Handlungsregulation ==
 
* entwickelt von Rainer Sachse
* umfasst 3 Ebenen:
*# Ebene der Beziehungsmotive / "authentische Handlungsregulation"
*# Ebene dysfunktionaler Schemata
*# Ebene der "manipulativen Handlungsregulation" / "Spielebene"
 
==== Ebene der Beziehungsmotive ====
*zentrale Beziehungsmotive aus Kindheit/Jugend (Anerkennung, Verlässlichkeit, Autonomie, Grenzen)
*''Hierarchie'': ein zentrales Motiv (&rarr; spezifisch für PS)
*individuell operationalisiert als ''konkrete, situationsbezogene interaktionell Ziele'': "Ich möchte von anderen (Aufmerksamkeit, Respekt, gesehen werden, Zugehörigkeit, ...)
*interaktionelles Handlungsmotiv: Ziel von anderen befriedigt bekommen
*dazu nötig:
**''Handlungskompetenzen'': Wissen über Handlungsstrategien + flexible Anwendung
**''Verarbeitungskompetenzen'': soziale Situationen analysieren/verstehen + soziale Empathie (theory of mind)
 
==== Ebene der dysfunktionalen Schemata====
 
# Selbst-Schemata: Annahmen der Person über sich selbst ("ich bin nicht wichtig", "ich bin ein Versager", ...)
# Beziehungsschemata: Annahmen über Beziehungen ("Beziehungen sind nicht verlässlich", ...)
 
* dysfunktional, weil negative Erwartungen, Interpretationen, Affekte
* determinieren schnelle, automatisierte Informationsverarbeitung ("hyperallergische Reaktion"): minimale Auslöser &rarr; schnelle, heftige emotionale Reaktion
* PS: charakteristische Arten von Schemata (histrionisch: "ich bin nicht wichtig", narzißtisch: "ich bin nicht wichtig")
 
=== Ebene des intransparenten Handelns ===
 
==Weblinks==


http://www.panikattacken.at/persoenlichkeitsstoerung/persoenlichkeitsstoerung.htm
http://www.panikattacken.at/persoenlichkeitsstoerung/persoenlichkeitsstoerung.htm
[[Kategorie:Persönlichkeitsstörungen| ]]

Aktuelle Version vom 9. Mai 2023, 14:01 Uhr

Grundlagen

  • starke Ausprägung von Persönlichkeitsstilen → Extrem-Varianten normalen Verhaltens/Erlebens
  • diesbezüglich wenig flexibel und anpassungsfähig
  • Im Kern Störung des zwischenmenschlichen Beziehungsverhaltens ⇒ Krise vor allem bei interpersonellen Konflikten und Verlust der sozialen Integration
  • Verhaltensweisen als Selbstschutz → für Umwelt oft nicht erkennbar, daher häufig selbstbestätigend
  • Prävalenz 20%, in Therapien 30-40%, bei ESS 60%
  • Stabilität: Remission nach Diagnose-Kriterien
    • 25-50% nach 2 J.
    • 75% nach 6 J.
    • → keine lebenslange "Störung"!

Diagnose

  • Kriterien nach ICD-10 → ICD-10-Persönlichkeitsstörung
  • DSM-IV und ICD-10: kategorial → wenig reliabel/valide, große Überlappungen
  • DSM-5:
    • Alternativmodell → dimensional
    • keine Altersbeschränkung mehr!
    • nur noch 6 spezifische PS
    • Kriterien:
      1. Funktionsfähigkeit
        • Selbst: Stabilität der Identität, Integriertes Selbst-Konzept, interne Werte/Ideale/Ziele
        • interpersonell: Empathie/Mentalisierungsfähigkeit, Intimität/Beziehungsregulation, intergrierte Objektrepräsentanzen
      2. maladaptive Persönlichkeitsmerkmale → "Profil
        • 5 "traits", jeweils 5 "facets"
      3. zeitlich stabil und situationsübergreifend
    • siehe z.B. http://www.lptw.de/archiv/vortrag/2013/herpertz_fiedler_13.pdf
  • ICD-11:
    • ebenfalls keine spez. PS mehr
    • nur noch "Persönlichkeitsstörung", Ausprägung nach "traits" und Schweregrad
  • bei Jugendlichen DD Adoleszentenkrise = Identitätskrise
    • Selbstrepräsentation gestört
    • Objektrepräsentation intakt
    • DD PS: beides gestört, Identitätsdiffusion

Cluster-Einteilung

  ICD-10 DSM-IV psychodynamisch
Cluster A
sonderbar, exzentrisch
paranoid
schizoid
paranoid
schizoid
schizotypisch
strukturelle Schwäche,
Übergang zur psychotischen Störung
Cluster B
dramatisch, emotional
emotional-instabil
histrionisch
dissozial
Borderline-PS
histrionisch
antisozial
narzisstisch
strukturell unzureichend gebunden,
überschießende Dynamik
Cluster C
ängstlich, vermeidend
selbstunsicher-vermeidend
abhängig
anankastisch
passiv-aggressiv
selbstunsicher
dependent
zwanghaft
passiv-aggressiv
rigide Struktur,
unzureichende Entfaltung von Dynamik

Modell der doppelten Handlungsregulation

  • entwickelt von Rainer Sachse
  • umfasst 3 Ebenen:
    1. Ebene der Beziehungsmotive / "authentische Handlungsregulation"
    2. Ebene dysfunktionaler Schemata
    3. Ebene der "manipulativen Handlungsregulation" / "Spielebene"

Ebene der Beziehungsmotive

  • zentrale Beziehungsmotive aus Kindheit/Jugend (Anerkennung, Verlässlichkeit, Autonomie, Grenzen)
  • Hierarchie: ein zentrales Motiv (→ spezifisch für PS)
  • individuell operationalisiert als konkrete, situationsbezogene interaktionell Ziele: "Ich möchte von anderen (Aufmerksamkeit, Respekt, gesehen werden, Zugehörigkeit, ...)
  • interaktionelles Handlungsmotiv: Ziel von anderen befriedigt bekommen
  • dazu nötig:
    • Handlungskompetenzen: Wissen über Handlungsstrategien + flexible Anwendung
    • Verarbeitungskompetenzen: soziale Situationen analysieren/verstehen + soziale Empathie (theory of mind)

Ebene der dysfunktionalen Schemata

  1. Selbst-Schemata: Annahmen der Person über sich selbst ("ich bin nicht wichtig", "ich bin ein Versager", ...)
  2. Beziehungsschemata: Annahmen über Beziehungen ("Beziehungen sind nicht verlässlich", ...)
  • dysfunktional, weil negative Erwartungen, Interpretationen, Affekte
  • determinieren schnelle, automatisierte Informationsverarbeitung ("hyperallergische Reaktion"): minimale Auslöser → schnelle, heftige emotionale Reaktion
  • PS: charakteristische Arten von Schemata (histrionisch: "ich bin nicht wichtig", narzißtisch: "ich bin nicht wichtig")

Ebene des intransparenten Handelns

Weblinks

http://www.panikattacken.at/persoenlichkeitsstoerung/persoenlichkeitsstoerung.htm